Abschlussbericht der Expertenkommission zum Volksentscheid

Berlin kann große Immobilienbestände in Gemeineigentum überführen

Nach dem erfolgreichen Volksentscheid im September 2021 wird ein mögliches Gesetz zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen den Berliner Senat weiterhin beschäftigen. Denn die vom Senat eingesetzte Expertenkommission kommt in ihrem Abschlussbericht zu dem Ergebnis: Das Land Berlin hat die verfassungsrechtliche Kompetenz zur Vergesellschaftung von Privateigentum.

Herta Däubler-Gmelin, Vorsitzende der Expertenkommission, überreicht Kai Wegner (CDU, re.), Regierender Bürgermeister von Berlin, und Christian Gaebler (SPD), Stadtentwicklungssenator von Berlin, den Abschlussbericht der Expertenkommission "Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen". Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm
Herta Däubler-Gmelin, Vorsitzende der Expertenkommission, überreicht Kai Wegner (CDU, re.), Regierender Bürgermeister von Berlin, und Christian Gaebler (SPD), Stadtentwicklungssenator von Berlin, den Abschlussbericht der Expertenkommission "Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen". Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm

Nach dem erfolgreichen Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ vom September 2021 hat der Berliner Senat im März 2022 die Expertenkommission zur „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ unter dem Vorsitz von Bundesjustizministerin a.D. Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin eingesetzt. Seither hat die 13-köpfige Kommission mehr als ein Jahr lang über Möglichkeiten einer verfassungskonformen Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen in Berlin beraten. Der nun vorgelegte Abschlussbericht fasst die Beratungsergebnisse der Kommission zusammen.

Kommission beruft sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes

Demnach habe das Land Berlin nach dem Grundgesetz die Kompetenz für eine Gesetzge­bung zur Vergesellschaftung von in Berlin gelegenen Immobilienbeständen großer Wohnungsunternehmen. Ein Vergesellschaftungsgesetz stehe im Einklang mit den in Artikel 15 des Grundgesetzes ausdrücklich genannten Voraussetzungen. Artikel 15 bestimmt: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Von dieser Möglichkeit ist bislang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kein Gebrauch gemacht worden.

Unter welchen Bedingungen eine Vergesellschaftung vollzogen werden kann, bestimmt Artikel 14 des Grundgesetzes: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.“

„Wirtschaftliche und politische Macht großer Unternehmen aufheben“

Nach Auffassung einer Kommissionsmehrheit verletze eine Vergesellschaftung nicht das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Eine Vergesellschaftung großer Immobilienbestände diene der „Beendigung privatnütziger Verwertung“ und damit der „Aufhebung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Macht“, so heißt es zusammenfassend im Abschlussbericht der Kommission. Eine Vergesellschaftung lasse sich so ausgestalten, dass das Grundrecht auf Gleichbehandlung nicht verletzt werde; es sei gerechtfertigt die Immobilien genossenschaftlicher, landeseigener und gemeinnütziger Wohnungsunternehmen von einer Vergesellschaftung auszunehmen.

Das Land Berlin habe die Befugnis zur Vergesellschaftung, obwohl die Berliner Landesverfassung keinen entsprechenden Passus enthalte.

Schwarz-roter Senat will Karlsruhe ein Rahmengesetz zur Prüfung vorlegen

Die Kommission war noch vom inzwischen abgewählten rot-grün-roten Senat einberufen worden. Der neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) zeigte sich bei der Übergabe des Abschlussberichtes skeptisch gegenüber einer Vergesellschaftung. Seine Regierungskoalition aus CDU und SPD hat sich entschieden, entgegen dem Willen des Volksentscheides kein Gesetz für die Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen vorzulegen, sondern ein Rahmengesetz zu erarbeiten, das dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden soll. Damit will der Senat sicherlich eine erneute Blamage vor dem Bundesverfassungsgericht vermeiden. Dieses hatte bekanntlich den Berliner Mietendeckel gekippt mit der Begründung, das Land Berlin verfüge nicht über verfassungsrechtliche Kompetenz, weil es allein Bundesangelegenheit sei, mietrechtliche Regelung zu treffen.

Das sagen die Interessenverbände der Branche

Diese Frage jetzt in Karlsruhe klären zu lassen, ist nach Auffassung des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) „genau der richtige Weg“. Eine Enteignung durch Vergesellschaftung sei verfassungsrechtlich vollkommen ungeklärt, betont Stefanie Frensch, Sprecherin der ZIA-Region Ost. Zugleich warnt die ZIA-Expertin vor „wohnungs- und sozialpolitischen Illusionen“. Enteignung sei keine Antwort auf die unglaubliche Wohnungssituation in Berlin. Denn Enteignung schaffe keinen neuen Wohnraum. Zudem drohe eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse durch die enormen Entschädigungskosten, die das Land Berlin für die Vergesellschaftung von Eigentum aufbringen müsste.

Gereizt reagiert der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. „Statt auf ideologische Utopien, die letztlich das gesellschaftliche Vertrauen in unsere demokratischen Grundpfeiler untergraben, sollte sich der Berliner Senat künftig auf die wirkliche Herausforderung unserer Zeit konzentrieren können: die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.“  Das klappe nur, wenn mehr Sozialwohnungen geschaffen werden, wenn mehr günstige Grundstücke vergeben und die Baugenehmigungsverfahren digitalisiert und dadurch viel schneller werden.

Maren Kern, Vorständin des BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen – die ja von einer Vergesellschaftung ausgenommen werden sollen – kritisiert die Kommission, die „nur akademisch über rechtstheoretische Fragen und nicht über ein konkretes Gesetzesvorhaben diskutiert hat“.  Deshalb bleibe der BUU bei seiner Überzeugung: eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen sei weder mit dem Grundgesetz noch der Berliner Landesverfassung vereinbar, noch wäre sie finanzierbar. Sie würde mit der willkürlich gegriffenen Grenze von 3.000 Wohnungen gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes ebenso verstoßen wie gegen das verfassungsmäßige Verhältnismäßigkeitsgebot. Für die Schaffung eines entspannten Wohnungsmarktes gebe es neben einer Vergesellschaftung mildere Mittel, beispielsweise eine auskömmliche Förderung des Neubaus.

Außerdem weist der BBU darauf hin, dass die Berliner Landesverfassung, die 1995 per Volksabstimmung angenommen worden ist, damals aus gutem historischem Grund das Mittel der Vergesellschaftung gar nicht vorsehe. Deshalb gingen Teile der Expertenkommission auch davon aus, dass für ein Landesvergesellschaftungsgesetz eine Verfassungsänderung notwendig wäre.

Bürgerbewegung spricht von einem „historischen Tag für Berlin“

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ spricht nach der Übergabe des Abschlussberichtes an Bürgermeister Kai Wegner von „einem historischen Tag“ für Berlin. „Die Kommission stellt ein für allemal klar: Die Enteignung von Immobilienkonzernen ist rechtssicher, finanzierbar und das beste Mittel, um den Mietenwahnsinn zu stoppen! Außerdem ist eine niedrige Entschädigung, die das Land Berlin nichts kosten wird, auch machbar. Enteignung ist einfach der beste Deal für Berlin”, freut sich Constanze Kehler, Sprecherin der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen.

In der Formulierung eines Rahmengesetzes durch die CDU-geführte Regierung sieht die Initiative eine „unlautere Verzögerungstaktik“. Das Rahmengesetz solle zwei Jahre nicht in Kraft treten, weil die CDU gegen ihr eigenes Gesetz klagen wolle, so die Auffassung der Bürgerbewegung. (Red.)

Den Abschlussbericht der Expertenkommission "Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen" können Sie hier herunterladen.

 

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