Von politischen Utopien für die Wohnungswirtschaft

Berlin ist nicht nur die Hauptstadt eines nicht ganz unbedeutenden Landes im Herzen Europas, Berlin ist auch eine Experimentierwerkstatt für politische Utopien. Im September 2021 stimmte eine Mehrheit der Berliner Bürger dafür, private Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften. In einer Stadt, in der mehr als 80 Prozent der Menschen zur Miete wohnen, sollen Enteignungen dem „Mietenwahnsinn“ ein Ende bereiten. Ein demokratischer Erfolg für die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“.

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IVV-Chefredakteur Thomas Engelbrecht Bild: HUSS-Medien
IVV-Chefredakteur Thomas Engelbrecht Bild: HUSS-Medien

Dieser Volksentscheid verpflichtet den Berliner Senat, ein Gesetz zu erlassen, das die Enteignungen und die Höhe der Entschädigungen regelt. Stellt sich die Frage, ob das Land Berlin die verfassungsrechtliche Kompetenz für einen solchen Eingriff ins Privateigentum besitzt; besonders nachdem das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel kassiert hat, weil das Mietrecht nicht Landes-, sondern Bundesangelegenheit ist. Der Senat hat das heikle Thema auf die lange Bank geschoben und eine Expertenkommission mit einem Prüfauftrag versehen. Diese Kommission – mehrheitlich von Juristinnen und Juristen besetzt – hat nun ihren Abschlussbericht vorgelegt. Und siehe da: Die Hoffnung auf politische Utopien stirbt zuletzt. Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder sieht eine Landeskompetenz zur Vergesellschaftung, um „wirtschaftliche und politische Macht großer Unternehmen aufzuheben“ (Bericht S. 12 - IVV-Ausgabe 0708/2023).

Die Redaktion hat einen Fachanwalt für Verwaltungsrecht um eine erste Einschätzung des Abschlussberichtes gebeten (Seite 44). Sein Kerngedanke: Hauptsächlich mache der Bericht deutlich, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen zur Vergesellschaftung gebe. Die Sache werde sehr wahrscheinlich vor dem Berliner Landesverfassungsgericht oder dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe landen. (- IVV-Ausgabe 0708/2023)

Das Bundesverfassungsgericht hat auf spektakuläre Weise die Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes am letzten Sitzungstag des Bundestages vor der parlamentarischen Sommerpause gestoppt. Ein Erfolg für einen einzelnen Abgeordneten, der sich in seinen Rechten beschnitten sah, weil ihm nur wenige Tage blieben, das viel zu kompliziert angelegte Heizungsgesetz zu verstehen. Wie die Verfassungsrichter ihren Beschluss begründen, und was die wichtigen Punkte im GEG sind, über die der Bundestag nun frühestens im September abstimmen wird, lesen Sie auf Seite 10 - - IVV-Ausgabe 0708/2023.

Dem Entwurf des Heizungsgesetzes sind durch den zähen Koalitionsstreit fast alle Zähne gezogen. Gas- und Ölheizungen können noch zwei Jahrzehnte in Betrieb bleiben, obwohl der Gebäudebereich neben der Industrie und dem Verkehrssektor der größte CO2-Emittent ist. Das Heizungsgesetz von Anfang an eine Utopie? Holt uns schlicht die Realität ein? Unter deutschen Dächern sind heute rund 20 Millionen Gas- und Ölheizungen in Betrieb. Auch bei gesellschaftlichem Konsens, ausreichenden Handwerkerkapazitäten und ohne Lieferengpässe würde die Transformation zur klimafreundlichen Gebäudetechnik viele Jahre benötigen. Aber: Jetzt einfach mal loslegen, wäre schön gewesen.

In eigener Sache: BIM-Tage Deutschland im Oktober

Der Huss-Verlag ist mit vier Redaktionen an den BIM-Tagen beteiligt. Damit setzen wir uns für ein echtes digitales Miteinander im Bau- und Gebäudewesen ein. Seien Sie dabei ... (Seite 14-- IVV-Ausgabe 0708/2023).

Thomas Engelbrecht

Thomas Engelbrecht
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Seite 3
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