Wo steht die Immobilienbranche bei der Dekarbonisierung der Gebäude?
Auf Anregung von Rueckerconsult haben Branchenexperten im Rahmen der Online-Pressekonferenz „Alles CO2-neutral, oder was? Wo steht die Immobilienbranche bei der Dekarbonisierung des Gebäudebestandes?“ darüber diskutiert, wie man ambitionierte Ziele und ökonomische Zwänge miteinander vereinbaren kann.
Als Grundlage der Diskussion diente eine von Aedifion und Rueckerconsult durchgeführte Online-Umfrage im Oktober 2024, an der sich 58 Unternehmen beteiligten (Facility-Manager, Investment-Manager, Projektentwickler, Immobilienfinanzierer und Immobilienverwaltungen). Auftraggeber Aedifion entwickelt Softwarelösungen für die Optimierung des Gebäudebetriebs. Das Ergebnis:
- Mehr als 50 Prozent der Befragten besitzen kein Dekarbonisierungskonzept für ihr Immobilienportfolio
- 25 Prozent mit Dekarbonisierungskonzept haben keine Kenntnis über den CO2-Ausstoß ihres Portfolios
- 60 Prozent verfügen über kein Budget für den Dekarbonisierungspfad.
An der Expertendiskussion beteiligten sich Iris Hagdorn (Head of Sustainability bei der HIH Invest), Alexander Roth (ESG & Operations Director bei Savills Investment Management), Dr.-Ing. Johannes Fütterer (Geschäftsführer von Aedifion) und Prof. Dr. Henric Hahr (Leiter Asset Management bei Real Blue).
„Für große Investitionen fehlt das Kapital“
Trotz des ernüchternden Umfragebefundes ist Prof. Henric Hahr (Leiter Asset Management bei Real Blue) sicher, dass die Botschaft in der Branche angekommen ist: „Die Zielsetzung der Klimaneutralität ist ganz klar vorgegeben – auch durch entsprechende Regulatorik. Aber die Ziele sind vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen volkswirtschaftlichen Schwierigkeiten sehr ambitioniert. Für große Investitionen, die schnell zu einem Ergebnis führen könnten, fehlt häufig das Kapital.“
Furcht vor sinkenden Mieten und wertlosen Immobilien
Die Befragung durch Aedifion offenbare die Zwickmühle, in der sich viele Unternehmen sehen: 73 Prozent befürchten Wertverluste ihrer Immobilien, wenn sie Dekarbonisierungsmaßnahmen unterlassen. Gut 29 Prozent sorgen sich vor der Entwicklung von Stranded Assets und 17 Prozent befürchten sinkende Mieten durch nicht nachhaltige Gebäude. Aber: 23 Prozent sind der Ansicht, dass es gar keine Folgen für sie hat, auf Dekarbonisierungsmaßnahmen zu verzichten.
Alexander Roth (ESG & Operations Director bei Savills Investment Management) sieht in den Aussagen teilweise die Bestätigung eigener Marktbeobachtungen: „Viele Unternehmen sind durchaus engagiert und setzen sich Dekarbonisierungsziele, die sich etwa an den Pariser Klimazielen orientieren. Sie erleben, dass vor allem beim Immobilienverkauf die CO2-Bilanz eines Gebäudes eine immer wichtigere Rolle spielt. Ist der CO2-Ausstoß zu hoch, kann das dazu führen, dass ein Verkauf gar nicht zustande kommt.“
Ohne die Erfassung von Verbrauchsdaten ist alles nichts
Die Treiber auf dem Weg zur Klimaneutralität sind aus Expertenperspektive zum einen regulatorische Vorgaben, zum anderen die Marktakteure selbst. Aus Sicht von Iris Hagdorn (Head of Sustainability HIH Invest) ist das dennoch eine gute Entwicklung: „Die Immobilienwirtschaft hat sich von kurzfristigen ESG-Maßnahmen einzelner Gebäude verabschiedet und entwickelt langfristige Strategien zur nachhaltigen Portfolio-Entwicklung. Das ist sinnvoller und nachhaltiger.“
Dreh- und Angelpunkt aller Effizienzansätze ist zunächst die Erfassung des Energieverbrauchs, waren sich alle Diskutanten einig. ESG-Manager Alexander Roth ist der Ansicht, dass man „bei vielen Gebäuden noch viel stärker ins Detail“ gehen müsse. Aus Erfahrung weiß er indes auch, dass bei jüngeren Gebäuden energetische Maßnahmen an der Gebäudehülle den CO2-Verbrauch nur wenig positiv beeinflussen: „Wir haben durchgerechnet, was die Dämmung von Fassaden, Wänden oder Dächern in Bezug auf Kosten und Nutzen bringen könnte. Dabei mussten wir feststellen, dass solche Maßnahmen in unserem Immobilienportfolio oftmals nur wenig zu einer besseren CO2-Bilanz beitragen würden. Entscheidender ist die Frage nach den Energieträgern und der Gebäudetechnik.“
Wärmepumpe als Brückentechnologie
Das spiegeln auch die Antworten der Befragten zum Thema Wärmepumpen wider: Zu den am häufigsten umgesetzten oder geplanten Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes (je 59 Prozent) in einer Immobilie gehören der Austausch der Heizung, die Optimierung der Betriebseffizienz und die Umstellung der Stromversorgung auf Ökostrom. Gebäudeautomation und die Installation einer Wärmepumpe wurden am seltensten genannt.
Dabei ist die Wärmepumpe für Johannes Fütterer die Technologie der Zukunft: Die Wärmepumpe als Brückentechnologie auf dem Weg zu einem Energiesystem, bei dem es nicht mehr so sehr darauf ankommt, wie viel Energie ein Gebäude verbraucht, sondern wann es sie verbraucht. „Wir hören von unseren Kunden, dass es teurer wird, langfristig fixe Stromtarife abzuschließen. Wenn wir künftig mehr flexible Energietarife sehen, kann man diese nutzen, um zu bestimmten Zeiten den Wasserspeicher der Wärmepumpe zu füllen“ erklärt Fütterer. „So kann man günstig Energie beziehen und Preisspitzen umgehen.“
Auch ohne spezielle Tarife hat man bei Savills IM bereits die Erfahrung gemacht, dass die Umstellung von Gas oder fossiler Fernwärme auf Wärmepumpen Einsparpotenziale von mehr als 50 Prozent ermöglichen.
Künstliche Intelligenz (KI) in der Praxis
Umfrage-Autor Fütterer berichtete, dass knapp die Hälfte der Befragten (47 Prozent) sich vorstellen könne, bei der Dekarbonisierung zukünftig auf die Hilfe von künstlicher Intelligenz zurückzugreifen; ein gutes Drittel stehe KI eher kritisch gegenüber. „KI muss sachgerecht angewandt werden“, ist Fütterer überzeugt. „Bei Aedifion nutzen wir KI zur Interpretation der Betriebsdaten, zur optimierten Steuerung und versuchen, die irren Mengen an strukturierten Daten, die in den verschiedenen Systemen vorliegen, verfügbar zu machen. Dazu testen wir gemeinsam mit den Kunden, ob man sich mit Hilfe von KI über die Datensätze austauschen kann – etwa, wie viele Wärmepumpen es bereits im Portfolio gibt.“
Dass die Immobilienwirtschaft in Sachen KI noch in den Kinderschuhen steckt, bestätigten alle Diskussionsgäste. „Wir haben noch kein vernetztes System, sondern nur Einzellösungen, die nicht miteinander kommunizieren können, so dass man diese Daten auch nicht sinnvoll zusammenführen kann“, bestätigte Prof. Henric Hahr.
Redaktion (allg.)

