Klimaschutz im Turbomodus
Eindringlicher geht es kaum. „Wir haben klare Zielvorgaben: Schon 2030 müssen unsere Bestandsimmobilien 40 Prozent weniger Emissionen verursachen, sonst drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe“, so beschwor Axel Gedaschko die Branche auf der Expo Real im vergangenen Herbst. Der Grund für diese eindringlichen Worte: Der Präsident des GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.) warb für die Initiative Wohnen.2050 (IW.2050), die sein Verband zusammen mit dem VdW Südwest auf Anregung der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) aus der Taufe hob.
Der Ruf blieb nicht ungehört. Bereits zur Gründungsversammlung der Initiative Wohnen.2050 e.V. im Frühjahr trafen sich 24 Unternehmen in Berlin – zusammen repräsentieren die Gründungsmitglieder bundesweit über eine Million Wohneinheiten. Der bei der Versammlung zum geschäftsführenden Vorstand gewählte Felix Lüter, Leiter des NHW-Nachhaltigkeitsmanagements, betonte: „Wir freuen uns wirklich über jede Gesellschaft, die mitmacht. Ziel ist es, jedes der im GdW organisierten Unternehmen, das sich in Bezug auf das Ziel ‚Klimaneutralität bis 2050‘ strategisch aufstellen will, auch bei uns zu begrüßen.“ Jörg Franzen, Vorstandsvorsitzender der GESOBAU AG, Berlin, und Sprecher der Berliner Wohnungsunternehmen, sieht die IW.2050 als einen Meilenstein: „Der Klimawandel stellt die Wohnungswirtschaft vor große Herausforderungen, die nur von der gesamten Branche gelöst werden können. Wir freuen uns daher, unsere Erfahrungen zu teilen, dazuzulernen und zusammen an einer klimaneutralen Zukunft zu arbeiten.“
Herkulesaufgabe Klimaschutz
Zwar hat die Branche bereits beträchtliche Kohlendioxid-Einsparungen erwirkt, die Schlagzahl muss deutlich erhöht werden. Allein, um das Klimaschutzziel 2030 der Bundesregierung einzuhalten, muss die Wohnungswirtschaft die CO2-Emissionen im Gebäudesektor um 48 Millionen auf dann 70 Millionen Tonnen herunterfahren. Konkret auf eine Wohnungsgesellschaft wie die NHW heruntergebrochen, heißt dies: Um bis 2050 klimaneutral zu sein, muss sie den Primärenergieverbrauch von derzeit 153 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter im Jahr auf nur mehr 27 kWh reduzieren. Zwar liegt die augenblickliche Modernisierungsquote branchenweit bei einem Prozent, es müssten jedoch zwei Prozent sein. Nur ein Bruchteil der etwa 3.000 Mitglieder des GdW verfügen heute schon über eine eigene CO2-Bilanz. Vor allem kleineren und mittelständischen Unternehmen fehlt es oft an Zeit, an Instrumentarien, Strategien und an Know-how.
Die Ziele der Initiative Wohnen.2050
Die Ziele, die die Initiative Wohnen.2050 erreichen soll, sind vielschichtig. Der Verein will eine Plattform bilden, in der Kompetenzen und Wissen gebündelt sowie gemeinsames Lernen und Unterstützen möglich wird. Benchmarks sollen erhoben, Standards festgelegt werden, denn es geht um Transparenz und Sicherheit im Handeln. Konkrete Erfahrungs- und Messwerte sollen helfen, Investitionen zielgerichtet zu platzieren. Lüter: „Fehlallokationen können wir uns nicht erlauben. Wenn wir bis 2050 klimaneutral sein wollen, muss jeder Euro an der richtigen Stelle ausgegeben werden.“ Die Initiatoren wollen auch Pilotprojekte aufsetzen – wie zum Beispiel das Vorhaben der NHW, 100 Wohnungen ausschließlich mit regenerativen Energien zu versorgen.
Als wesentliche Arbeitsfelder haben die Gründungsmitglieder drei Bereiche identifiziert: „CO2-Bilanzierung“, „Technik“ und „Finanzierung“. Zu jedem sind in diesem Jahr mehrere Workshops geplant. Beim ersten Treffen geht es darum, geeignete Instrumente zu finden, um eine CO2-Bilanz aufzustellen, die Klimaschutzziele für das eigene Unternehmen zu definieren, einen Maßnahmen-Katalog zu entwerfen und passende Evaluierungswerkzeuge zu schaffen, die den jeweiligen Fortschritt messen.
Starke Stimme gegenüber der Politik
Neben der inhaltlichen Arbeit am Mammutprojekt Klimaschutz soll die IW.2050 noch eine weitere wichtige Aufgabe übernehmen. Die Branche will gegenüber der Politik und Öffentlichkeit mit einer Zunge sprechen. Dr. Thomas Hain, Leitender Geschäftsführer der NHW, bringt es auf den Punkt: „Umweltschutz und CO2-Einsparung gibt es nicht zum Nulltarif. Das sind gesellschaftliche Kosten, die nicht nur einer Gruppe zuzuordnen sind, denn jede eingesparte Tonne kommt uns allen zugute.“ Und genau diese Kosten sind kein Pappenstiel: Das Fraunhofer Institut Solare Energiesysteme spricht von Gesamtkosten von über 450 Milliarden Euro, die die Sanierung aller Gebäude in der Bundesrepublik verschlingen wird. Nach Berechnungen der dena wäre – allein, um die Ziele für 2030 bei Warmmietenneutralität zu erreichen – eine staatliche Unterstützung von sechs Milliarden Euro jährlich nötig.
Da die Branche gleichzeitig gefordert ist, das gesellschaftliche Gut Wohnen für alle erschwinglich zu halten, steht „das Thema Finanzierung ab sofort auf der Tagesordnung“, so Dr. Hain. In Axel Gedaschkos Worten: „Wir müssen die Klimaschutzziele so erreichen, dass die Belastung für die Mieter möglichst gering bleibt.“ Konkret heißt dies zum Beispiel zielgerichtete Zuschüsse und gut ausgestattete Förderprogramme. Nur so wird die gesamte Bandbreite der Wohnungswirtschaft – von der kleinen Genossenschaft bis zum Großkonzern – in ausreichendem Maß in den Klimaschutz investieren. Denn entscheidend ist, dass alle mit im Boot sind. „Gerade die mittelständischen Gesellschaften sollten mitmachen“, erläutert Lüter. „Je breiter die Initiative Wohnen.2050 sich aufstellt, je mehr Wissen, Erfahrung, Know-how und Engagement einfließen, desto größer ist die Schlagkraft und desto eher erreichen wir unsere ambitionierten Ziele. Im besten Fall kann dann die Wohnungswirtschaft als Vorreiter Lösungen entwickeln, die auch privaten Bestandshaltern als Blaupause dienen.“
Literaturhinweise
Robert Schmauß
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