Bauschutt

Wiederverwenden statt verschwenden

Schwindende Rohstoffe, knapper werdende Deponieräume und ein wirksamer Klimaschutz machen es zwingend notwendig, den Materialeinsatz im Bauwesen neu zu denken. Die Circular Economy und das Prinzip Cradle-to-cradle bieten dafür Ansätze. Erste Wohnungsbauten und Forschungsvorhaben zeigen das Potenzial.

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Das 34 Meter hohe SKAIO im ehemaligen BUGA-Park in Heilbronn: Das Baumaterial ist zu 100 Prozent recyclingfähig. Bild: Häfele
Das 34 Meter hohe SKAIO im ehemaligen BUGA-Park in Heilbronn: Das Baumaterial ist zu 100 Prozent recyclingfähig. Bild: Häfele

Geht es um Ressourcenverschwendung stehen meist Plastikmüll und weggeworfene Lebensmittel im Fokus. Dass pro Jahr rund 200 Millionen Tonnen Bauschutt und Bauabfälle entsorgt werden, die bei entsprechendem Recycling zu vermeiden wären, findet indes nur wenig Aufmerksamkeit. Dabei stecken in dem vermeintlichen Müll nicht nur wertvolle Rohstoffe, sondern auch jede Menge graue Energie, die für die Produktherstellung aufgewendet wurde. Bei jedem Bauteil, das auf der Deponie endet, geht beides verloren: Rohstoffe und Energie. Echter Klimaschutz bedeutet folglich zusätzlich zum Einsparen von Energie im Gebäudebetrieb, Materialien ressourcenschonend bei der Planung von Neubauten und Sanierungen einzusetzen. Eine Maßgabe, die Immobilienunternehmen vor neue Herausforderungen stellt.

Bauabfälle zu deponieren wird schwieriger

Wie schwierig es ist Bauabfälle zu entsorgen, hat unlängst die Baugenossenschaft Langen eG erlebt. Nur mit Mühe hat Vorstand Wolf-Bodo Friers ein Abbruchunternehmen finden können, das bereit war, den Rückbau eines überalterten Gebäudes zu übernehmen, dessen Sanierung unwirtschaftlich gewesen wäre. Die Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr, denn in Hessen droht der Entsorgungsnotstand für Bauschutt und Erdaushub. Allein im Regierungsbezirk Darmstadt, zu dem das rund 35.000 Einwohner zählende Langen gehört, sind die Kapazitäten von 2012 bis 2017 um 43 Prozent zurückgegangen. Insbesondere in den für die Bauwirtschaft wichtigen Deponieklassen 0 (gering belastete mineralische Abfälle) und I (Abfälle mit sehr geringem organischem Anteil) haben sich die freien Flächen verringert.

Wer Bauabfälle loswerden will, fährt teilweise bis in die Niederlande. Dieser Mülltourismus dürfte zunehmen, denn jährlich fallen rund 200 Millionen Tonnen Bauschutt in Deutschland an. Geht das so weiter, wovon Entsorger aufgrund des anhaltenden Baubooms ausgehen, könnte es bald heißen: Rien ne va plus, nichts geht mehr. Um auch in Zukunft bauen zu können, wird die Bau- und die Immobilienwirtschaft alle Prozesse – von der Planung über die Erstellung und den Betrieb bis zum Rückbau – auf eine zirkuläre Wertschöpfung ausrichten müssen. Andernfalls werden Klimaschutz, Kostenverträglichkeit und Rohstoffproduktivität nicht zu vereinen sein.

>> IVV-Fachartikel November 2923: Kreislaufwirtschaft benötigt inheitliche Standards

Produkt-Design macht den Unterschied

Wegweisend, um aus dem Dilemma herauszukommen, ist die Idee der Circular Economy (oder auch Kreislaufwirtschaft). Der bis in die 1990er-Jahre zurückreichende alternative Wirtschaftsansatz beruht darauf, Rohstoffe so lange wie möglich zu nutzen, statt sie, wie in der linearen Wirtschaft üblich, einmal zu verwenden und danach zu entsorgen. Mit dem 1996 eingeführten Kreislaufwirtschaftsgesetz erhielt die Schonung natürlicher Ressourcen, der Schutz von Mensch und Umwelt bei der Abfallbewirtschaftung sowie das Recycling in Deutschland erstmals oberste Priorität von höchster Stelle.

Ob ein Bauprodukt wiederverwendbar ist oder sich umweltverträglich beseitigen lässt, hängt maßgeblich von seiner Gestaltung ab. Dass diese möglichst innovativ ausfällt, gewährleisten die seit 2013 geltende Bauprodukte-Verordnung (gilt z. B. für Zement, Bodenbeläge, EPS-Dämmplatten) und die Ökodesign-Richtlinie (gilt z. B. für Heizkessel, Warmwasserbereiter, Beleuchtungsmittel).

Forcieren soll die zirkuläre Wertschöpfung im Bauwesen der „Neue Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft“, in dem die Europäische Kommission die Einführung umfassender Strategien für eine nachhaltig gebaute Umwelt vorsieht.

Die Natur als Vorbild

Bereits jetzt auf eine konsequente Kreislaufwirtschaft ausgerichtet ist das Prinzip Cradle-to-Cradle (kurz C2C), entworfen vor etwa 30 Jahren von dem deutschen Chemiker Michael Braungart und dem amerikanischen Architekten William McDonough. Die Querdenker nahmen sich die Natur zum Vorbild, um Produkte zu entwickeln, die entweder vollständig biologisch abgebaut oder endlos recycelt werden können. Folglich kennt das Konzept nur Nährstoffe, keine Abfälle. Elementar ist, dass ausschließlich einstoffliche Materialien genutzt und grundsätzlich auf Verbundmaterialien verzichtet wird, die in der konventionellen industriellen Fertigung jedoch üblich sind.

Hat ein C2C-basiert hergestellter Teppich das letzte Stadium seines Lebenszyklus erreicht, ermöglicht sein intelligentes Design, dass aus ihm ein neuer hochwertiger Belag hergestellt werden kann, ohne Umweltschäden und Müll zu verursachen. Ist dieser dann obsolet, lässt sich die Transformation ohne Qualitätsverluste fortsetzen. Braungarts provokante Devise lautet: „Wir müssen nicht weniger, sondern verschwenderisch und in biologisch-technischen Kreisläufen produzieren.“ Eine Maxime, die dem Effizienz-Postulat heutiger Bauweise konträr gegenübersteht. Ein Umdenken hat jedoch begonnen. So gibt es mittlerweile über 30 Bauprodukthersteller (darunter Busch-Jaeger, Drees & Sommer, Grohe, Lindner und Schüco) die nachweislich nach den C2C-Prinzipien arbeiten.

Neues wagen, lohnt sich

Zu den Pionieren ressourcenschonenden Bauens gehört die Landmarken AG, die gemeinsam mit dem Architekturbüro kadawittfeld Deutschlands erstes Wohnhochhaus in Anlehnung an das C2C-Prinzip in der Hamburger HafenCity realisiert. Im Moringa (der Name ist inspiriert vom tropischen Meerrettichbaum, der wegen seiner Heilkünste als Wunderbaum bekannt ist) werden gesunde, unter sozialen Arbeitsbedingungen und bei geringem Energieaufwand hergestellte Materialien verbaut, die, genauso wie der Großteil der Konstruktionen, trennbar und rezyklierbar sein werden. Beinahe alle Bestandteile des Gebäudes lassen sich wiederverwenden oder in den Kreislauf der Natur zurückführen.

Die begrünten Flächen am und auf dem Gebäude produzieren Sauerstoff und vermindern sommerliche Hitzeeffekte in der Stadt. 85 Prozent der auf zwölf Etagen entstehenden rund 170 Einheiten sind Mietwohnungen, ein Drittel davon öffentlich gefördert, 15 Prozent werden Eigentumswohnungen sein. Hinzu kommen ein Coworking-Space, eine Kita und weitere Nutzungen sowie eine Gastronomie im Erdgeschoss. Die Tiefgarage bietet Platz für etwa 70 Pkw und die dreifache Menge für Fahrräder.

Zum Moringa-Konzept gehören außerdem Mobilitäts-Angebote, die vom Lastenrad bis zum E-Auto reichen. „Etwas Vergleichbares hat es noch nicht gegeben. Für uns als Projektentwickler, aber auch für die HafenCity, wird das Moringa ein Meilenstein und Aushängeschild zugleich“, sagt Jens Kreiterling, Vorstand der Landmarken AG. Zwar sei die Umsetzung schwierig und noch nicht erreicht, ergänzt Sylvia Friedrich, Mitglied der Geschäftsleitung der Landmarken AG, doch es lohne sich, daran zu arbeiten und Maßstäbe zu setzen. Die Fertigstellung ist für Ende 2023 geplant.

Zirkuläre Wertschöpfung mit eingeplant

Auch das SKAIO, das die Stadtsiedlung Heilbronn im vergangenen Jahr errichtete, ist ein Beleg für das Potenzial, das in C2C-basiertem Bauen für den Wohnungsbau steckt. Das vom Architekturbüro Kaden + Lager entworfene Gebäude ist mit 34 Metern das höchste Hybrid-Hochhaus Deutschlands. Ein Zwitter ist der Zehn-Geschosser, weil die Konstruktion überwiegend aus Brettschicht-, Brettsperr- und FSC-zertifiziertem Fichtenholz besteht, hingegen musste der Erschließungskern in der Gebäudemitte aus Brandschutzgründen in Stahlbeton errichtet werden. Die 1.500 Kubikmeter verbautes Holz reduzieren die CO2-Bilanz um 1.500 Tonnen. Zudem betrug die Bauzeit nur neun Monate. Für Wolf-Dieter Sprenger, Prokurist der städtischen Wohnraumanbieterin, beinhaltet das Projekt zwei wichtige Erfahrungen: „Erstens haben wir gesehen, dass uns der Holzbau die Möglichkeit gibt, zügig neue Wohnungen zu schaffen und zweitens haben wir Know-how über C2C-basiertes Bauen erlangt, falls die CO2-Bilanz von Gebäuden künftig vom Bau über den Betrieb bis zum Abriss, also über den gesamten Lebenszyklus, nachgewiesen werden muss und sich nicht auf die durch Energieträger verursachten Emissionen beschränkt.“ Ein Wissensvorsprung, der sich langfristig auszahlen dürfte, auch wenn das neue Gebäudeenergiegesetz die Graue Energie von Baustoffen derzeit nicht berücksichtigt.

Innovativ ist SKAIO zudem wegen der C2C-inspirierten Materiallösungen, wodurch das Gebäude zu 100 Prozent recyclingfähig ist. Besonders deutlich macht das der Trockenbau: So wurde für die Deckenkonstruktion, anstatt mit herkömmlichen Holz-Beton-Verbunddecken zu arbeiten, bei denen der Ortbeton nass aufgebracht und fest mit dem Holz verklebt wird, eine betonähnliche Masse sowie Wabenstrukturen und Kiesschüttungen verwendet. Im Fall eines Umbaus lassen sich die Elemente sortenrein voneinander trennen und an gewünschter Stelle wieder zusammensetzen.

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schreibt vor, dass zu Prozessen, bei denen personenbezogene Daten verarbeitet werden, der Verantwortliche Verfahrensverzeichnis führen muss. Insbesondere bei einer Prüfung durch die Datenschutzbehörden muss der Verantwortliche...

Wird die Immobilie komplett zurückgebaut, kann sie in ihre Einzelteile zerlegt und andernorts so oder ähnlich erneut aufgebaut werden. Oder die Materialien dienen einem gänzlich anderen Zweck. Diese Optionen sehen konventionelle Bauweisen und Produkte nicht vor. „Wie auch, wenn zirkuläre Wertschöpfung nicht in Gestaltung und Planung mit bedacht wird“, gibt Architekt Markus Lager zu bedenken. Dies wäre aber zwingend notwendig, um wirklich den Ansprüchen an Klima- und Ressourcenschutz gerecht zu werden.

Aus Alt mach Neu

Das Recycling von Gebäuden wird derzeit im Rahmen des viel beachteten Modellprojekts „Rathaus Korbach“ erkundet. Das dazu notwendige Urban-Mining-Konzept stammt von der Architektin Anja Rosen, die Sachverständige für Nachhaltiges Bauen und DGNB-Auditorin bei der energum GmbH ist. Sie geht der Frage nach, wie sich beim Gebäudeabbruch anfallendes Material als urbane Mine vor Ort aufbereiten und ressourcenschonend in den Neubau integrieren lässt. Dazu wird im Sinne einer quartiersbezogenen Stadtreparatur die nicht sanierungswürdige Rathauserweiterung aus den 1970er-Jahren zurückgebaut und durch einen Neubau an derselben Stelle ersetzt.

Rund 5.400 Tonnen Betonabbruch aus den Decken, Unterzügen und Stützen des Bestandsgebäudes können zu etwa 50 Prozent als rezyklierte Gesteinskörnung Typ 1 für das Tragwerk des Neubaus verwendet werden. Zwölf Tonnen Ziegelabbruch fließen in die Fassade des Neubaus. Nicht verwertbare Feinanteile verfüllen die Baugrube vor Ort. Und das Ende des Lebenszyklus wird gleich mitgedacht, um die Rezyklierbarkeit zu erhalten: So wird auf Putz zugunsten eines hochwertig ausgeführten Sichtbetons verzichtet und statt Verbundabdichtungen für die erdberührten Bauteile zu nutzen, kommt ein wasserundurchlässiger Beton zum Einsatz.

Rückbau- und recyclingfreundlich ist auch die Dachdeckung als Stehfalz-Zinkdeckung und die lösbar befestigte Dämmung, die überwiegend aus Sekundärrohstoffen hergestellt wurde. Die parallel im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erstellte Studie soll als Grundlage für die Entwicklung eines „Leitfadens für ressourcenschonendes Bauen im Land Hessen“ dienen.

Ressourcen-Fahrplan für Kommunen

Ein aktuelles Forschungsvorhaben, von dem wichtige Impulse speziell für Kommunen ausgehen, ist „R2Q - Ressourcenplan im Quartier“. In Herne dienen die Stadtquartiere Baukau-Ost und Pantrings Hof, die beide über ein hohes Transformationspotenzial verfügen, bis Anfang 2022 exemplarisch dazu, die Nutzung von Wasser, Energie, Materialien und Fläche zu untersuchen und aus den Erkenntnissen Technologien und Instrumente zur effizienten Bewirtschaftung dieser Ressourcen zu entwickeln.

Der daraus entstehende „Ressourcenplan“ soll Kommunen als systematischer Werkzeugkoffer für künftige Bau- und Sanierungsmaßnahmen in Stadtquartieren dienen und das Ressourcenmanagement erleichtern. Oberste Prämisse des Projektes ist die Übertragbarkeit und der Transfer in andere Kommunen. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt findet im Rahmen von „RES:Z – Ressourceneffiziente Stadtquartiere“ statt und erfolgt in Zusammenarbeit mit der FH Münster, der RWTH Aachen, der TU Berlin sowie den fünf Praxispartnern Kompetenzzentrum Wasser Berlin, itwh Hannover, ExKern Münster, Gelsenwasser AG und Jung Stadtkonzepte.

Gemeinsam mehr erreichen

Auf allen Ebenen ressourcenschonenden Bauens setzt die re!source Stiftung an. Die von Vertretern aus allen Sektoren des Bauwesens und der Immobilienwirtschaft gegründete unabhängige Allianz möchte eine effektivere, umweltschonendere und damit nachhaltigere und insgesamt wirtschaftlichere Nutzung von Ressourcen durch die Umsetzung einer echten zirkulären Wertschöpfung erreichen. Zum einen, um Rohstoffe zu sparen. Zum anderen, um die Ressourcen, die eingesetzt werden oder bereits eingesetzt worden sind, nach ihrer Nutzung wieder als vollwertige Sekundärrohstoffe aufzubereiten und wieder zu verwerten und somit Abfall zu vermeiden. Denn was nützen Recycling-Immobilien, für deren Materialien und Wiederverwendung es keinen Markt gibt? Zudem müssen Bewertungs- und Bilanzierungsverfahren hinterfragt werden, die weder Rohstoffproduktivität noch Klimaverträglichkeit berücksichtigen. Nur wenn der gesamte Lebenszyklus betrachtet wird, entstehen Gebäude, die als Rohstofflager genutzt werden können.

Dagmar Hotze

Dagmar Hotze
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Artikel Wiederverwenden statt verschwenden
Seite 12 bis 15
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