„Der Wohnungsbau bricht massiv ein“
Das Münchener ifo-Institut meldet ungewöhnlich viele Auftragsstornierungen auf deutschen Baustellen. Aus einer Umfrage gehe hervor, dass im Juni 11,5 Prozent der Bauunternehmen im Hochbau von Stornierungen betroffen gewesen seien, im Mai seien es sogar 13,4 Prozent gewesen. „Die Größenordnung ist vergleichbar mit dem Corona-Schock im Frühjahr 2020. Diesmal sehen wir im Wohnungsbau besonders häufig Stornierungen. Allerdings sind die Auftragsbücher im Mittel weiterhin prall gefüllt“, sagt ifo-Forscher Felix Leiss.
Lieferengpässe werden noch Monate anhalten
Noch immer fehle es vielerorts an Material. So meldeten im Juni 47,1 Prozent der Hochbauunternehmen Lieferengpässe, nach 56,6 Prozent im Vormonat. „Diese Engpässe bilden sich nur langsam zurück. Dabei kommt es teils zu rasanten Preisanstiegen infolge der Knappheit. Auch die hohen Energiepreise wirken preistreibend bei vielen Baustoffen“, ergänzt Leiss. Im Mittel erwarten die Betriebe, dass die Engpässe noch knapp neun Monate andauern. „Die Unternehmen müssen die höheren Preise für Material und Kraftstoff an die Kunden weitergeben, und so steigen die Baupreise weiter rasch. Die Bauherren müssen aber auch die höheren Zinsen tragen.“
„Das ist die Vollbremsung einer ganzen Branche“
Unter dem Eindruck einer aktuellen Umfrage bei Mitgliedsunternehmen stellt BFW-Präsident Dirk Salewski fest: „Der Wohnungsneubau bricht massiv ein. Die Mehrzahl der Unternehmen stellt ihre geplanten Projekte zurück oder hat sie bereits ganz aufgegeben. Das ist keine Delle beim Neubau, das ist die Vollbremsung einer ganzen Branche“, so der Präsident des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen. Als „alarmierend“ bezeichnet Salewski, dass 70 Prozent der befragten Unternehmen angeben, sie werden die Hälfte der geplanten Projekte unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht mehr realisieren. Hochgerechnet bedeutet das einen Rückgang zwischen 50.000 und 75.000 neuen Wohnungen. Die Ziele der Bundesregierung von 400.000 Neubauwohnungen würden so nicht ansatzweise zu erreichen sein. Im Ein- und Zweifamilienhausbau gingen die Baugenehmigungen bereits massiv zurück.
„Die Krise hat den Bau nun erreicht“
Das Statistische Bundesamt meldet für Mai einen Rückgang der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser um 17,8 Prozent. Zwar war die Zahl der Baugenehmigungen im Mai für Zweifamilienhäuser (+2,1 %) und für Mehrfamilienhäuser (+9,1 %) noch positiv. Allerdings wies Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer Zentralverband Deutsches Baugewerbe, darauf hin, dass die Zahl der Baugenehmigungen im Mai im Vergleich zum Vormonat saison- und kalenderbereinigt um 6,6 Prozent gefallen sei. „Die Folgen der Inflation, der Energiekrise und der gestörten Lieferketten haben den Bau nun erreicht“, stellt Pakleppa fest.
Der deutliche Zinsanstieg im ersten Halbjahr wirkt sich bereits sowohl auf den Käufermarkt als auch auf das Vermietungsgeschäft aus. Das größte Vermittlungsportal Immoscout24 meldet eine Verschiebung der Nachfrage in Richtung Mietwohnungen. Im ersten Quartal 2022 sei die Nachfrage nach Immobilien zum Kauf gegenüber dem Vorjahr um 17 Prozent zurückgegangen. Inserate für Wohnimmobilien zum Kauf seien länger online als im Vorjahr. Es sei schwieriger geworden, Käufer zu finden als im letzten Jahr. Stattdessen suchten wieder deutlich mehr Menschen nach Immobilien zur Miete.
„Kaufnachfrage ist um 36 Prozent zurückgegangen“
Für das zweite Quartal 2022 zeige das ImmoScout24 WohnBarometer, dass die Angebotspreise für Mietwohnungen deutschlandweit deutlich stärker angestiegen sind als in den vorangegangenen Quartalen. Bestandswohnungen wurden in der Neuvermietung durchschnittlich 2,7 Prozent teurer als im Vorquartal angeboten. Für Neubauwohnungen lag die Preisentwicklung bei 3,6 Prozent und damit um 1,8 Prozent höher als im Vorquartal.
In Folge der auf rund drei Prozent gestiegenen Zinsen sei die Nachfrage nach Immobilien zum Kauf im Vergleich zum Vorjahr um 36 Prozent zurückgegangen. Im gleichen Zuge legte die Nachfrage nach Immobilien zur Miete im Durchschnitt um 48 Prozent zu.
„Die Party auf den Immobilienmärkten ist vorbei“
Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum kommt in seiner jüngsten Analyse zu dem Schluss: „Meiner Meinung nach ist die Party an den Immobilienmärkten erst einmal für geraume Zeit vorbei.“ Die gestiegenen Zinsen würden insgesamt zu einer niedrigeren Nachfrage nach Eigenheimen führen. Die geringere Nachfrage werde sich in einem Rückgang der Kaufpreise zeigen. Erste Anzeichen einer Trendwende seien schon sichtbar: in den Daten des Statistischen Bundesamtes zeigte sich das im I. Quartal 2022 in stagnierenden Preisen gegenüber dem Vorquartal. „Die Hauspreise werden zukünftig sinken!“
Wie groß der finanzielle Druck durch die Zinserhöhung von 1,0 Prozent im September 2021 auf nunmehr 3,5 Prozent ist, macht Prof. Vornholz an folgender Beispielrechnung deutlich.
Ein Reihenhaus habe 2021 durchschnittlich 500.000 Euro gekostet. Bei einem angenommenen Eigenkapital der Käufer von 20 Prozent, müssen 400.000 Euro über ein Darlehen finanziert werden. Bei einem Zinssatz von 1 Prozent sind 4.000 Euro Zinsen pro Jahr zu zahlen. Nach dem Anstieg der Bauzinsen auf 3,5 Prozent müssten Käufer nunmehr 14.000 Zinsen pro Jahr aufbringen. Im Fall von einem Prozent Zinsen wäre das Haus nach 25 Jahren schuldenfrei und es wären Zinsen in Höhe von insgesamt gut 50.000 Euro zu zahlen gewesen. Bei heute 3,5 Prozent Zinsen betragen die Gesamtzinszahlungen rund 375.000 Euro und das Haus wäre erst nach 44 Jahren abgezahlt.
Käufer aus dem Mittelstand können solche Zinslasten nicht stemmen und werden sich daher auf dem Mietwohnungswohnungsmarkt orientieren. „Bezahlbare“ Mieten für breite Schichten dürften damit reines Wunschdenken bleiben. (Red.)
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Baukosten eilen Mieten davon
„Bauen, bauen, bauen – das war gestern“
Das Stataistische Bundesamt teilt mit:
Die Baukosten für neue Wohngebäude in Deutschland sind zuletzt deutlich angestiegen. Das zeigt die Statista-Grafik auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes. Insbesondere Stahlbauarbeiten haben sich deutlich verteuert - im Vergleich zum Vorjahresmonat um rund 28 Prozent. Auch Metallbauarbeiten, Entwässerungskanalarbeiten, Klempnerarbeiten sowie Stahlbauarbeiten sind derzeit deutlich kostspieliger als noch vor einem Jahr.
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