Gefährdet eine Deregulierung Investitionen in das Gigabit-Netz?
Das Wirtschaftsministerium will den Wettbewerb unter den Kabelnetzbetreibern erhöhen, Investitionen in Hochleistungsnetze anregen und den Verbraucherschutz verbessern. Zu dem letzten Punkt sieht das Telekommunikationsmodernisierungsgesetz (TKModG) die ersatzlose Streichung der Kabelgebühren aus der Betriebskostenverordnung vor. Die Gebühren sollen nicht länger umlagefähig sein. Seit Jahrzehnten sorgen Sammelverträge von Wohnungsunternehmen mit Kabelnetzbetreibern für rabattierte Kabelgebühren für Mieter und feste Kalkulationsgrundlagen für die Dienstleister.
GdW sieht hohe Belastung für einkommensschwache Mieterhaushalte
Durch das neue Gesetz würden auf über 12 Millionen Mieterhaushalte Mehrkosten von bis zu 200 Euro jährlich zukommen, fürchtet Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft, GdW. Ab 1. Juli 2024 müssten Mieter ihren TV-Dienst nach der neuen Regelung in Einzelabrechnung abonnieren. Ein Sammelabo über ihr Wohnungsunternehmen, das bislang sehr günstige TV-Kosten sicherte, sei dann nicht mehr möglich. Belastet würden ausgerechnet geringverdienende Haushalte: Für sie würden ab Mitte 2024 die TV-Kosten dann auch nicht mehr als Kosten der Unterkunft von der Kommune übernommen. Vermieter müssen die Verträge für Millionen von Haushalten neu verhandeln, da sie ab Mitte 2024 aufgrund der Streichung der Umlage die bisher vereinbarten Zahlungen nicht mehr an Netzbetreiber leisten können.
Wie weit ist der Ausbau der Kabelnetze?
Der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) und das Beratungsunternehmen Dialog Consult haben im Oktober letzten Jahres die 22. Telekommunikations-Marktstudie vorgelegt. Danach haben die Unternehmen der Telekommunikationsbranche 2020 mit 9,7 Milliarden Euro so viel wie seit 2001 nicht mehr investieren. Mit 28,8 Millionen verfügbaren Gigabit-Anschlüssen (+56 Prozent) standen Ende des Jahres rund 62 Prozent der deutschen Haushalte gigabitfähige Netze zur Verfügung. Beim Neubau von Glasfaseranschlüssen bis ins Haus oder die Wohnung (FFTB/H) sei mit rund einer Million ein neuer Höchststand innerhalb eines Jahres erreicht worden.
Bei den verfügbaren gigabitfähigen Anschlüssen – HFC-Kabel-(DOCSIS-3.1) und FTTB/H-Anschlüssen – sei es 2020 deutlich vorangegangen. Die Zahl der gigabitfähigen Anschlüsse in Kabel-HFC-Netzen (DOCSIS 3.1) sei von Ende 2019 bis Ende 2020 um 65 Prozent von 14,35 auf 23,7 Millionen gestiegen. Die Zahl der „echten“ Glasfaseranschlüsse sei um fast ein Viertel auf 5,1 Millionen gewachsen. Mehr als ein Drittel der FTTB/H-Anschlüsse werde von Kunden genutzt. Die Zahl der gebuchten FTTB/H-Anschlüsse sei seit Ende 2019 um 31 Prozent gestiegen.
Die Statistik des Verbandes ANGA weisen in die gleiche Richtung. Die Netzbetreiber der ANGA verschafften heute mehr als 25 Millionen Haushalten Zugang zu Gigabit-Anschlüssen über FTTB/H oder HFC (hybride Glasfaser-Koax-Netze). In den nächsten Jahren würden Gigabit-Anschlüsse über die Netze der ANGA-Unternehmen für drei Viertel der deutschen Haushalte verfügbar sein.
GdW und Netzbetreiber sehen Investitionen in Breitbandausbau gefährdet
Mit dem Wegfall der Umlagefähigkeit bricht nach Einschätzung des GdW die finanzielle Grundlage für den dringend notwendigen Ausbau des Glasfasernetzes weg. Denn den Wohnungsunternehmen würden so die finanziellen Mittel für den Ausbau der digitalen Infrastruktur komplett entzogen.
Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) nennt die Novelle „eine Digitalisierungsbremse“. „Dank der Umlage konnten unsere Unternehmen den Breitbandausbau vorantreiben – auch abseits der Metropolen“, kommentiert Andreas Mattner, Präsident des ZIA.
Die Wohnungswirtschaft ist sich in der Ablehnung einig mit dem Interessenverband der Breitbandbetreiber ANGA. Dessen Präsident Thomas Braun kritisierte den Gesetzentwurf: „Die Bundesregierung fordert seit Jahren enorme Investitionen in den eigenwirtschaftlichen Gigabit-Ausbau. Gleichzeitig entzieht sie den Netzbetreibern aber die Grundlage für den weiteren Ausbau in den Häusern – und das in einer Situation, in der leistungsfähige Breitbandnetze wichtiger sind als je zuvor.“ Der Verband sieht insbesondere die Glasfaserprojekte seiner lokalen und kommunalen Netzbetreiber gefährdet. „Mehr als 80 Prozent der existierenden Glasfaser-Ausbauprojekte unserer regionalen Anbieter basieren auf der Umlagefähigkeit,“ so Braun. „Falls dieses Gesetz so verabschiedet wird, wird genau denjenigen Anbietern die Kalkulationsgrundlage entzogen, die den FTTH-Ausbau schon früh entschlossen vorangetrieben haben.“ (Red.)
Update 07/2021 : Das Nebenkostenprivileg fällt weg
Das Nebenkostenprivileg bei den Kabel-TV-Kosten wird fallen. Nach monatelangen Diskussionen hat im Mai der Bundesrat der Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) zugestimmt. Die Bewertung von Wohnungswirtschaft und Verbraucherschützern könnte unterschiedlicher kaum ausfallen. >> weiterlesen
aus IVV 10/21: WEG - Glasfaser-Verlegung war nicht zu verhindern
aus IVV Sonderheft "Zukunft Wohnungswirtschatf" (Okt 2021): In Stadt und Land besteht ein Recht auf schnelles Internet
Ausbau des Breitbandnetzes
Glasfaserpotential wird nicht ausgeschöpft
Fast nirgendwo in den Industriestaaten ist der Glasfaseranteil derartig niedrig wie in Deutschland - laut OECD waren Ende 2020 nur 5,4 Prozent aller stationären Breitbandanschlüsse in Deutschland. Zum Vergleich in Schweden sind es 75 Prozent. Dabei könnte der Anteil hierzulande deutlich höher sein, wie die TK-Marktanalyse Deutschland 2021 zeigt. Der zufolge werden von sieben Millionen möglichen echten Glasfaseranschlüssen (FTTH/B) aktuell lediglich 2,5 Millionen genutzt. Das vorhandene Glasfaserpotential wird also bei Weitem nicht ausgeschöpft. Auch für so genannte Gigabitanschlüsse mit DOCSIS 3.1-Technik - dabei wird das bestehende Kabelnetz zur schnellen Übertragung von Daten genutzt - gilt ein ähnlicher Befund. Von den rund 24 Millionen verfügbaren Anschlüssen werden nur etwa 37 Prozent genutzt. Fragt sich woran das liegt - brauchen die Konsument:innen kein schnelles Internet oder ist es ihnen zu teuer?
Quelle: Dialog Consult/ VATM via Statista
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