Dürre Förderung lässt Ost-West-Gegensatz wieder aufbrechen
Die ersten politischen Branchenkongresse im Frühjahr waren für die Interessenverbände der Wohnungs- und Bauwirtschaft ernüchternd. Sie fanden statt in einer Zeit, in der sich die Bauwirtschaft – um es mit den Worten der Branche zu sagen – an einem Kipppunkt befindet. Während in den urbanen Zentren Hunderttausende Wohnungen fehlen, droht die Bauwirtschaft aufgrund der Zins- und Kostensteigerungen in eine manifeste Rezession zu schliddern. Auf dem Wohnungsbau-Tag des Verbändebündnisses und dem Deutschen Immobilien Kongress des BFW fanden sich wie immer Minister und Ministerinnen aus Bundes- und Landesregierungen ein, hörten sich Argumente und Forderungen an, hielten Reden und machten klar: Mehr staatliches Geld zur Ankurbelung des Neubaus bezahlbarer Mietwohnungen wird es nicht geben (Bericht Seite 12).
Es scheint unausweichlich, dass die Bauwirtschaft im Segment Wohnungsbau massiv Stellen abbauen wird. Die Zahl der bei Bauämtern eingereichten Genehmigungsanträge ist um 80 Prozent zurückgegangen. Allen Akteuren ist klar, der Staat kann diesen Abschwung nicht wegsubventionieren. Die finanziellen Spielräume werden enger, der Staat muss mehr Geld für die Landesverteidigung ausgeben und die amtierende Bundesregierung wird sich nicht auf eine Lockerung der Schuldbremse im Grundgesetz verständigen können.
Die herrschende Trockenheit in der Förderlandschaft für den Mietwohnungsbau hat die allgemeine Gereiztheit gesteigert und alte Gegensätze wieder aufbrechen lassen, die wir überwunden glaubten. Weil sie in Berlin nicht gehört würden, habensich sieben Verbände der ostdeutschen Wohnungswirtschaft in Leipzig für eine gemeinsame Pressekonferenz getroffen. Ihre Botschaft: Das Neubau-Ziel von 400.000 Wohnungen und die Kritik an der ungenügenden Förderung sind ein Mantra des Westens. In weiten Teilen Ostdeutschlands gibt es keinen Wohnungsmangel, braucht es keine Mietpreisbremse und keine Neubauförderung.
Große ländliche Räume verlieren weiter an Bevölkerung und die Unternehmen kämpfen mit Leerstandquoten von bis zu 20 Prozent. Ostdeutschlands Wohnungswirtschaft fordert eine Abkehr von der Neubauförderung hin zur Förderung der Bestände und mehr Geld für Abriss und Rückbau (Bericht Seite 10).
Dieser neue Ost-West-Gegensatz zeigt, dass die Förderinstrumente staatlicher Baupolitik besser ausdifferenziert werden müssen. Ein feinmechanisches Werkzeug ist das neue Programm „Gewerbe zu Wohnen“. Auf dem platten Land in Ostdeutschland offenbar vollkommen unnötig, können die budgetierten 120 Millionen Euro hier und da helfen, aus ungenutzten Büro- und Gewerbeobjekten Wohnungen zu machen. Kein Allheilmittel, aber eine Option, die Immobilieneigentümer prüfen sollten. Michael Ammann, Vorstand der Kölner WRH AG, hat sich an die Umnutzung gewagt. Er berichtet von vielen Überraschungen, die beim Umbau einer altgedienten Immobilie freigelegt werden. die Umnutzung ist konstruktiv ein Hindernislauf und kann daher teuer werden. Für Projekte wie „Gewerbe zu Wohnen“ braucht es Idealismus und unternehmerisches Durchhaltevermögen (Bericht Seite 14).
Mit noch mehr Zähigkeit muss diese und die nächste Generation an der Dekarbonisierung des Gebäudebetriebs arbeiten. In ihrer historischen Bedeutung ist die Transformation vergleichbar mit der Elektrifizierung der Industriegesellschaft. Von einigen Wegen und den Hindernissen berichtet unser Special ab Seite 29.
Thomas Engelbrecht
◂ Heft-Navigation ▸