Ein Gebäudetyp E ist schwer auf die Welt zu bringen

„Im Kern geht es um einen Kulturwandel beim Bauen“

Rechtsexperte Stefan Leupertz organisiert Rechtssicherheit bei der Deregulierung. Das Gesetz für den einfachen kostengünstigen Wohnungsbau, der Gebäudetyp E, befindet sich derzeit in der parlamentarischen Abstimmung. Kritiker nennen den Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann „mutlos“. Der Entwurf schaffe neue Hürden, mache nichts einfacher. Was sagt Baurechtsexperte Prof. Stefan Leupertz zu dem vom FDP-Justizmnister vorgelegten Entwurf?

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 "Kabel in Kanälen auf Putz, Heizkörper vertikal montiert – so hat die GWG München 300 Euro pro Quadratmeter eingespart", sagt Prof. Stefan Leupertz, Rechtsexperte. Bild: Michael Hogrefe
"Kabel in Kanälen auf Putz, Heizkörper vertikal montiert – so hat die GWG München 300 Euro pro Quadratmeter eingespart", sagt Prof. Stefan Leupertz, Rechtsexperte. Bild: Michael Hogrefe

Baurechtsexperte im IVV-Interview: „Der jetzt vom FDP-Justizminister vorgelegte Referentenentwurf bewirkt mit seinen kaum handhabbaren Unterscheidungen zwischen unterschiedlichen Vertragstypen, fachkundigen und nicht-fachkundigen Unternehmern sowie sicherheits- und komfortrelevanten Standards genau das Gegenteil.“ Leupertz versucht seit Jahren, Rechtssicherheit herzustellen, um von Baustandards abweichen zu dürfen, wenn sich die Beteiligten einig sind. Im Interview erläutert der habilitierte Jurist, der bis 2012 Richter am Bundesgerichtshof war und seither Baukonfliktmanager ist, was Stand bei dieser Deregulierung ist.

Herr Prof. Leupertz, Ihr Thema Deregulierung hat wieder Auftrieb bekommen mit der Diskussion um den „Gebäudetyp E“. Was war und ist dafür der Kontext?

Die Bayerische Architektenkammer hatte im Januar 2023 den Vorstoß gemacht, einen Gebäudetyp E wie „experimentell“ oder „einfach“ einzuführen, um preisgünstiger und nachhaltiger bauen zu dürfen. Auch die bayerische Staatsregierung unterstützte den Vorstoß, um die Baukonjunktur anzuschieben und Wohnraum zu schaffen. Seither fordern Architekten und Investoren bundesweit mehr Spielräume und die Reduktion der Regulatorik auf Mindestanforderungen wie Standsicherheit, Brandschutz und gesunde Lebensverhältnisse.

Klingt plausibel. Und wo liegt das Problem?

Das Problem liegt in der Fülle der Gesetze, DIN-Normen und sonstiger Vorgaben. Gebäude, die 20 Jahre alt sind, wären heute oft gar nicht mehr genehmigungsfähig, weil sich die Baustandards erhöht haben. Wer von diesen Standards abweicht, baut illegal und nicht rechtssicher, kann also verklagt und verurteilt werden. Maßgebend hierfür sind die sogenannten „anerkannten Regeln der Technik“, von denen niemand so genau weiß, welche das sind, die aber zur Haftung des Unternehmers und Architekten führen, wenn sie nicht eingehalten sind. Und zwar auch dann, wenn das Bauwerk einwandfrei funktioniert. Das macht das Bauen unnötig teuer und kompliziert.

Wie löst man das Problem, regressfrei bauen zu können?

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die von Deregulierung nur redeten, hat Bundesjustizminister Marco Buschmann immerhin im Herbst 2023 mal einen Gesetzentwurf vorgelegt, den die Branche allerdings mit Recht nicht für zielführend hält. Statt zu vereinfachen, verkompliziert der Entwurf das Baugeschehen, weil neue rechtliche Kategorien geschaffen werden, mit denen sich das Anliegen der Gebäudetyp E-Initiative nicht wird verwirklichen lassen.

Was ist nun Stand der Dinge?

Vor allem auf Länderebene, zum Beispiel in Bayern, Baden-Württemberg oder Niedersachsen, laufen intensive Gespräche auf Ministerebene, sodass eventuell ein Lösungsvorschlag über den Bundesrat eingebracht wird.

Und wie sieht eine etwaige Lösung aus?

Die sollte sich nach meinem Verständnis an einem konkreten Vorschlag orientieren, den ich gemacht habe im Rahmen eines Gutachtens, das ich im November 2023 für die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) verfasst habe. Darin geht es im Kern um eine Ergänzung des § 633 BGB, wonach man von den anerkannten Regeln der Technik ohne Weiteres abweichen darf, wenn sich vom Architekten über den Bauträger bis zum Käufer einer Wohnung alle Beteiligten einig sind, dass man im konkreten Fall von der Einhaltung unnötig hoher Standards, etwa beim Schallschutz, bei der Anzahl der Steckdosen im Schlafzimmer oder einer definierten Verlegetechnik für Kabel oder Heizkörper, abweichen will, um Aufwand zu senken und Kosten zu sparen.

Wie liefe das rechtssicher ab?

Der Bauträger hat heute schon gegenüber dem Erwerber eine detaillierte Baubeschreibungspflicht. In diesem Kontext würde er den Käufer proaktiv einbinden, wo im Herstellungsprozess Effizienzgewinne durch Komfortverzicht, zum Beispiel bei der Barrierefreiheit, oder durch sonstige Abweichungen von nicht sicherheitsrelevanten Komfortstandards zu heben sind. Alle Beteiligten klären gemeinsam und möglichst detailliert, wie und nach welchen Standards gebaut werden soll, ohne an die anerkannten Regeln der Technik gebunden zu sein.

Wird das schon irgendwo praktiziert?

Die TU München hat 2012 auf dieser Basis in Bad AibIing gebaut und Niedersachsen ist seit zwei Jahren dran, allerdings noch ohne konkretes Bauvorhaben. Die GWG in München (Anm. d. Red.: inzwischen Münchner Wohnen – die Wohnungsbaugesellschaft der Landeshauptstadt München) hat in Sendling so 80 Wohneinheiten nach diesem Prinzip gebaut und war allein dadurch 300 Euro pro Quadratmeter günstiger, dass etwa Kabel über Putz in Kanälen verlegt oder Heizkörper vertikal montiert wurden, um die Leitungswege zu verkürzen.

Um wie viel Prozent lassen sich dadurch Kosten sparen?

Was ich von Visionären wie dem badischen Architekten Klaus Wehrle höre oder dem oberbayerischen Generalunternehmer Dr. Ernst Böhm, der mit 2.000 Leuten in seinem Unternehmen unter anderem im Holzgeschosswohnungsbau tätig ist, und die beide einfach bauen, sind das 20 bis 25 Prozent. Die Einsparung erfolgt beim Material und beim Zeitaufwand, weil nur gebaut wird, was auch gewollt und sinnvoll ist.

Wie schützen sich die Genannten vor Klagen?

Von Wehrle weiß ich, dass er nur mit Leuten baut, die er kennt und denen er vertraut, dass sie eben nicht gegen ihn klagen. Denn aktuell wäre ein pauschaler schriftlicher Dispens von den anerkannten Regeln der Technik aus Rechtsgründen unwirksam, weshalb der Unternehmer befürchten müsste, selbst dann in Regress genommen zu werden, wenn er genauso gebaut hat, wie er es mit seinem Kunden besprochen hat. Wehrle und Böhm, der selbst Jurist ist, wissen das und können damit umgehen. Das ist aber keine Lösung, weil auch diejenigen, die keine solchen Experten sind, die Möglichkeit haben müssen, rechtsicher kostensparend zu bauen. Im Kern geht es allerdings immer um Dialog, Aufklärung, Abstimmung und dann um Vertrauen.

Wie geht es jetzt politisch weiter?

Die soeben genannten Beispiele machen Mut und schaffen Bewusstsein. Denn der „Gebäudetyp E“ ist eben kein neuer Standard, sondern ein Prozess. Die Politiker müssen sich jetzt einen Ruck geben, um einen Paradigmenwechsel hin zur Vereinfachung herbeizuführen. Dazu braucht es einfache, Rechtsregeln, die jedermann versteht und nach denen er sich richten kann. Der jetzt vom FDP-Justizminister vorgelegte Referentenentwurf bewirkt mit seinen kaum handhabbaren Unterscheidungen zwischen unterschiedlichen Vertragstypen, fachkundigen und nicht-fachkundigen Unternehmern sowie sicherheits- und komfortrelevanten Standards genau das Gegenteil. Das alles ist unnötig, verwirrend und am Ende kontraproduktiv.

Gründe zur Deregulierung gäbe es genug.

Ja, das wäre ein echtes Konjunkturprogramm, das Investitionen auslöst und dazu beiträgt, bis 2045 die EU-weit beschlossene Klimaneutralität zu erreichen, weil Verschwendung vermieden und Effizienz gefördert würde. Im Kern geht es um einen Kulturwandel, falsch ausgelegte Rechtsregeln zu korrigieren und den Entscheidern die Gestaltungshoheit zurückzugeben.

Hintergrund

Der Gesetzentwurf von Justizminister Buschmann sieht unter anderem die folgende Änderung im Bauvertragsrecht vor:

Fachkundige Unternehmer sollen künftig einfacher von den „anerkannten Regeln der Technik“ abweichen können, wenn sie miteinander Verträge über den Neu- oder Umbau eines Gebäudes oder einer Außenanlage schließen. Wollen die beiden Unternehmer von den „anerkannten Regeln der Technik“ abweichen, so soll diese Abweichung künftig nicht mehr voraussetzen, dass der Werkunternehmer den Besteller des Bauwerks über Risiken und Konsequenzen der Abweichung aufklärt.

Kein Mangel soll künftig vorliegen, wenn erstens die Abweichung dem Besteller vor Ausführung der Bauleistung angezeigt wird, zweitens der Besteller nicht unverzüglich widersprochen hat und drittens die dauerhafte Sicherheit und Eignung des Gebäudes gewährleistet ist.

Änderungsvorschlag für § 633 BGB

Für die vertragsrechtliche Absicherung des einfachen Bauens im Bürgerlichen Gesetzbuch schlägt Baurechtsexperte Leupertz eine Ergänzung von Paragraf 633 BGB vor. Dort steht:

„(1) Der Unternehmer hat dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.

(2) Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln,

1. wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst

2. für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.“

Der Jurist Stefan Leupertz schlägt folgende Ergänzung vor:

„(3) Die anerkannten Regeln der Technik sind, sofern und soweit die Vertragsparteien nichts anderes vereinbaren, kein vertraglich geschuldeter Mindeststandard; sie gehören nicht zu den vereinbarten Beschaffenheiten im Sinne von Abs. 2 Satz 1.“

Statt dieser einfachen, plausiblen Öffnung des Vertragsrechts, sieht der Gesetzentwurf von Marco Buschmann die Einführung eines neuen Vertragstyps, nämlich den „Gebäudebauvertrag zwischen fachkundigen Unternehmern“ vor.

GdW-Präsident Axel Gedaschko sieht darin die Gefahr, dass „das Werkvertragsrecht weiter zersplittert und verkompliziert“ werde. Die Unterscheidung zwischen fachkundigen und nicht fachkundigen Unternehmen sei „eine unnötige Reduzierung des Anwendungsbereichs und schaffe neue bürokratische Hürden und unnötige Abgrenzungsschwierigkeiten. Diese Unterscheidung ist nicht nur kompliziert, sondern auch in der Baupraxis unnötig“. Unternehmen im Wohnungsbau seien sich ihrer Verantwortung und ihrer fachlichen Kompetenzen bewusst, so Axel Gedaschko.

Der Zentrale Immobilienausschuss (ZIA) weist darauf hin, dass nach den Vorstellungen des Bundesjustizministeriums auch beim neuen Gebäudetyp E weiter grundsätzlich die Pflicht zur Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik bestehe. „Die Folgen sind bitter: Bei einem Verstoß gegen diese Regeln liegt selbst dann ein Sachmangel des Gebäudes vor, wenn kein Schaden entstanden ist“, erläutert ZIA-Hauptgeschäftsführerin Aygül Özkan. Und die vorgesehenen Hürden für einzelvertragliche Abweichungen seien im Ergebnis so hoch, „dass weder Investoren noch Städte sich auf Rest-Risiken einlassen werden.“

Leonhard Fromm

Leonhard Fromm
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Artikel „Im Kern geht es um einen Kulturwandel beim Bauen“
Seite 16 bis 17
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