GdW: „Das ist ein Instrument für Friedenszeiten“
Nach dem Beschluss des Regierungskabinetts, der noch in Bundestag und Bundesrat debattiert werden muss, soll die staatliche Hilfe um durchschnittlich 190 Euro im Monat auf rund 370 Euro aufgestockt werden. Auch sollen mehr Menschen in Deutschland den Mietzuschuss bekommen. Zu den bisher rund 600.000 Haushalten würden dann bis zu 1,4 Millionen weitere dazukommen – wenn denn alle Anspruchsberechtigten einen Antrag bei den kommunalen Wohngeldstellen einreichen.
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Bauministerin Geywitz: Wohngeld wird für anderthalb Jahre bewilligt
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) wies darauf hin, dass der Bewilligungszeitraum für das Wohngeld von 12 auf 18 Monate verlängert werde. Das heißt, es muss erst ein halbes Jahr später geprüft werden, ob der Anspruch weiter besteht. Steigt die Miete um 10 Prozent, könne das früher geltend gemacht werden als zuvor. Bislang wird erst ab 15 Prozent Mieterhöhung das Wohngeld erhöht. Zudem habe der Bund den Ländern die Möglichkeit einer unbürokratischen, schnellen Abschlagszahlung eingeräumt.
So viel Wohngeld können berechtigte Haushalte erwarten
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat ausgerechnet, wer ab Januar wieviel Wohngeld erwarten darf und weist darauf hin, dass schon unter den jetzigen Zuschussbedingungen 600.000 weitere Haushalte Wohngeld beziehen könnten, wenn sie denn einen Antrag bei der kommunalen Wohngeldstelle eingereicht hätten. Ende 2020 habe es 618.000 Bezieher von Wohngeld gegeben. Das entspreche 1,5 Prozent aller Haushalte in Deutschland. Damit friste diese Sozialleistung ein Nischendasein im Vergleich zu 6,9 Millionen Beziehern von Hartz IV-Leistungen.
Das Wohngeld beinhalte mehrere Bausteine: Für Mieterinnen und Mieter gibt es einen Zuschuss zur Kaltmiete, wer in Eigenheim oder einer Eigentumswohnung lebt, werde bei Zins und Tilgung unterstützt. Wer sehr wenig verdient und sehr hohe Ausgaben fürs Wohnen hat, beispielsweise weil er in einer teuren Großstadt lebt, bekomme die größte Unterstützung, je höher das Einkommen und je geringer die Wohnkosten, desto geringer das Wohngeld. Bisher sei ein Single, der in einer besonders teuren Gegend lebt, wohngeldberechtigt, sobald er weniger als 1.797 Euro brutto verdient. Künftig steige die Grenze auf 2.301 Euro. Für eine vierköpfige Familie in einer teuren Gegend steige die Einkommensgrenze von aktuell 3.697 auf 5.077 Euro. Konkret weißt die Berechnung des IW folgende Zuschüsse aus:
- Ein Rentner in Berlin mit einer monatlichen Rente von 1.259 Euro (brutto) und einer Kaltmiete von 500 Euro erhält 2022 monatlich rund 74 Euro, durch die Reform steigt die Unterstützung 2023 auf 252 Euro – also 178 Euro mehr.
- Eine vierköpfige Familie in München mit einem Einkommen von 2.386 Euro (brutto) und einer Kaltmiete von 1.000 Euro hat bisher Anspruch auf 481 Euro Wohngeld im Monat. Ab Januar 2023 steigt das Wohngeld auf 804 Euro, ein Plus von 323 Euro.
Bewertung der Reform durch die Wissenschaftler des IW
Die Reform werde das Wohngeldsystem nachhaltig stärken. Durch die Anhebung der Einkommensgrenzen reiche das Wohngeld dann deutlich in die untere Mittelschicht hinein (Personen zwischen 60 und 80 Prozent des Mittleren Einkommens). Dies ermögliche eine zielgenaue Unterstützung einkommensschwacher Haushalt in Zeiten hoher Inflation und steigender Energiekosten. Der Bund zahlt mit 1,85 Milliarden Euro die Hälfte bei. Die Länder sollen, wie bisher, die andere Hälfte tragen
GdW: Wohngeld fließt in Krisenzeiten viel zu spät
Der GdW Bundesverband der Wohnungswirtschaft nennt den Kabinettsbeschluss eine „gut gemeinte Reform, die in Krisenzeiten jedoch zu langsam und komplex“ sei. GdW-Präsident Axel Gedaschko wirbt seit längerem intensiv für einen allgemeinen Gaspreisdeckel, also für einen massiven Eingriff des Staates in das Preisgeschehen auf dem Energiemarkt. Alle Maßnahmen der bisherigen Entlastungspakete seien angesichts der Wucht der Krise „zu kleinteilig und zu schwerfällig“. Sowohl Mieterhaushalte als auch Wohnungsunternehmen seien von der Zahlungsunfähigkeit bedroht seien.
Mit der Verabschiedung eines Bundesgesetzes allein sei das Wohngeld noch lange nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen. Die Wohngeldstellen müssten auf den Aufgabenzuwachs personell und inhaltlich vorbereitet werden. Das teils sehr langsame Bewilligungsverfahren während der Coronapandemie zeige, dass eine Digitalisierungsoffensive für die Wohngeldstellen dringend notwendig sei. Auch wenn im neuen Wohngeld-Gesetz die Vereinfachung einer vorläufigen Auszahlung an die Empfänger vorgesehen ist, steige der Verwaltungsaufwand für die Wohngeldstellen drastisch an. Denn die Verbreiterung des Wohngeldes erfordere immer eine Prüfung. Für die neuen gesetzlichen Anforderungen ist eine EDV-technische Unterstützung notwendig. Dafür fehle es aber an den notwendigen Schnittstellen und Programmen. Notwendig sei zudem mehr fachlich geschultes Personal. Die Auszahlung der erhöhten Wohngelder werde sich um Monate verzögern, die Haushalte benötigten das Geld jedoch jetzt.
ZIA sieht Zeichen für den Zusammenhalt der Gesellschaft
Der Spitzenverband der deutschen Immobilienwirtschaft ZIA will mit einer Aufklärungskampagne dafür sorgen, dass die Chancen, die das neue Wohngeldgesetz schafft, auch tatsächlich wahrgenommen werden. „Mit den Plänen, die das Kabinett heute auf den Weg gebracht hat, setzt die Bundesregierung ein Schlüsselsignal in angespannten Zeiten,“ so ZIA-Präsident Andreas Mattner. Schon heute gebe es zahlreiche Berechtigte, die das Wohngeld nicht nutzten. „Das ,doppelte Plus‘ – mehr Unterstützung für einen größeren Kreis von Menschen – ist ein wichtiges Zeichen für den Zusammenhalt der Gesellschaft“, sagt Mattner.
Mieterbund vermisst Verschärfung des Mietpreisrechts
Auch der Deutsche Mieterbund begrüßt die geplante Reform des Wohngeldes. Die Verdoppelung des Wohngeldes und die dauerhafte Heizkostenkomponente stellten deutliche Verbesserung dar. Allerdings litten nicht nur die in den Blick genommenen zwei Millionen Haushalte unter hohen Wohnkosten, sondern die Hälfte aller Mieterinnen und Mieter in angespannten Wohnungsmärkten. Diese müssten dringend durch eine Reform des Mietpreisrechts vor den immer höher steigenden Mieten geschützt werden. „Trotz anderslautender Vereinbarung im Koalitionsvertrag lässt der Bundesjustizminister jegliche Bereitschaft zur Verbesserung des Mietrechts vermissen, so die Kritik von Mieterbundpräsident Lukas Siebenkotten. (Red.)
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