Verbände sehen die Gefahr von Insolvenzen

Wohnungsunternehmen drosseln die Leistung von Heizungsanlagen

Die stark steigenden Preise für Gas und Öl haben bislang Befürchtungen genährt, dass viele Mieterhaushalte durch hohe Nachzahlungen schwer belastet werden. Jetzt wird aber auch deutlich: Weil sie gegenüber Energielieferanten in Vorkasse treten müssen, drohen vielen Wohnungsunternehmen möglicherweise Liquiditätsengpässe. Der GdW sieht gar die Notwendigkeit, Sicherungen gegen eine Insolvenz einzurichten.

Schock lass nach: Um Mieter vor hohen Nachforderungen zu schützen, haben Wohnungsunternehmen die Vorauszahlungen angehoben. Foto: Adobestock/Markus Bormann
Schock lass nach: Um Mieter vor hohen Nachforderungen zu schützen, haben Wohnungsunternehmen die Vorauszahlungen angehoben. Foto: Adobestock/Markus Bormann

Wie die Tagesschau berichtet, hat die Wohnungsgenossenschaft im sächsischen Dippoldiswalde für 260 Wohnungen das warme Wasser rationiert.* Nur zu Stoßzeiten wird die Gasheizung für die Warmwasseraufbereitung in Betrieb genommen. Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen Vonovia kündigt für die kommende Heizperiode eine Nachtabsenkung der Heizungstemperatur an. Wie der Tagesspiegel berichtet, würden die Zentralheizungen in der Zeit zwischen 23 und 6 Uhr auf 17 Grad Raumtemperatur begrenzt. Die Nachtabsenkung würde bis zu acht Prozent Energieersparnis bringen.

Der Verband der Wohnungswirtschaft (GdW) sieht angesichts der drastisch steigenden warmen Betriebskosten „den sozialen Frieden in Deutschland massiv in Gefahr“. Durch den Ukrainekrieg, so die Berechnung des Verbandes, sei der Preis über alle Energiearten gemittelt bis Mai um 37 Prozent angestiegen. Schon das bedeute für einen Ein-Personenhaushalt eine Mehrbelastung von 508 Euro im Jahr im Vergleich zu 2021. Nach Angaben verschiedener Energieanbieter dürften sich die Preissteigerungen über alle Energieträger in einer Spanne zwischen 71 und knapp 200 Prozent abspielen. Dies bedeute für einen Ein-Personenhaushalt eine Mehrbelastung von 1.000 bis 2.700 Euro im Jahr, bei zwei Personen läge die Mehrbelastung bei 1.400 bis 3.800 Euro im Jahr.

Völlige Freigabe der Energiepreise führt zu Insolvenzen

Untragbar dürfte die Situation nach Einschätzung des GdW werden, sofern die Bundesregierung die dritte Stufe des Notfallplans Gas ausruft. Denn in diesem Fall können nach jetzigem Stand die massiven Preissteigerungen von den Energieversorgern direkt an die Verbraucher weitergegeben werden. Es drohten Gaspreissteigerungen von bis zu 400 Prozent. „Das können sich weder die Mieter noch die sozial orientierten Wohnungsunternehmen leisten, die bei den warmen Betriebskosten in Vorleistung gehen müssen und derzeit mit enormen Summen konfrontiert sind, die vielfach ihre finanzielle Leistungsfähigkeit überschreiten“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko.

Nach Berechnungen des GdW führt die bereits eingetretene Preissteigerungsrate von 39 Prozent (Stand Mai 2022) zu Mehrkosten für die Wohnungsunternehmen von über 650 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr. Hierbei konnten die Reduzierungen oder gar der vollständige Ausfall der Gaslieferungen aus Russland noch nicht abgebildet werden. Die Wohnungsunternehmen müssten die massiv gestiegenen Kosten für fossile Energieträger zu hohen Kreditkosten von teils über 4 Prozent vorfinanzieren. Sie gerieten dadurch in teils existenzbedrohende Liquiditätsengpässe, Investitionen für Neubau, Modernisierung und Instandhaltung würden unmöglich.

In Ostdeutschland teilweise bereits Verdoppelung der Miete

Auch der Verband der sächsischen Wohnungsgenossenschaften (VSWG) warnt: Durch die massive Preissteigerung und die vertragliche Vorleistungspflicht der Wohnungsunternehmen sowie drohende Ausfälle von Betriebskostenzahlungen auf Mieterseite könne es bei einigen Unternehmen zu Liquiditätsengpässen kommen. Aktuell hätten die meisten sächsischen Wohnungsgenossenschaften Festpreisvereinbarungen für Erdgas mit Preisen zwischen 1,5 und 5 Cent netto pro Kilowattstunde. Mit dem möglichen Wegfall der Festpreisbindung würde der Preis auf 15 Cent und mehr steigen. Das bedeute in einigen Fällen eine Verzehnfachung der Bezugspreise für Gas. Dabei betreffe die Mangellage nicht nur gasversorgte Heizungsanlagen, sondern vor allem auch die Fernwärme, die ebenfalls überwiegend aus Erdgas erzeugt werde. Es gebe bereits jetzt erste Fälle – vor allem in Ostdeutschland – in denen allein die Kosten für Heizung und Warmwasser über den Nettokaltmieten lägen. Faktisch sei hier bereits eine Verdoppelung der bisherigen Mieten erfolgt.

Energiearmut trifft zunehmend auch die Mittelschicht

Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sind nicht nur einkommensschwache Haushalte von den hohen Energiepreisen bedroht, sondern auch große Teile der Mittelschicht stünden bereits unter Druck. Gemäß der Studie gaben knapp 25 Prozent aller Haushalte in Deutschland im Mai 2022 mehr als zehn Prozent ihres Nettoeinkommens für Energie aus. Zum Vergleich: 2021 waren es nur 14,5 Prozent der Haushalte. Sobald ein Haushalt mehr als zehn Prozent seines Nettoeinkommens für Energie ausgibt, gelte er als „energiearm“. Ein energiearmer Haushalt gebe derzeit pro Person im Jahr durchschnittlich 206 Euro für Energie aus. „Energiearmut betrifft auch die Mittelschicht“, sagt IW-Ökonom Ralph Henger. Tatsächlich lasse sich auch in der unteren Mittelschicht beobachten, dass der Anteil der sogenannten energiearmen Haushalte ansteige. Das betreffe Haushalte, die zwischen 60 und 80 Prozent des mittleren Einkommens verdienen. Zwischen 2021 und Mai 2022 habe sich der Anteil der energiearmen Haushalte in dieser Einkommensklasse auf knapp 41 Prozent verdoppelt.

Haushalte unter der Armutsrisikogrenze – die also weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens haben – seien besonders betroffen. 65 Prozent dieser Haushalte gelten als energiearm. Verglichen mit dem Vorjahr sei das ein Anstieg um 16 Prozentpunkte. Um ihre Strom-, Gas- und Ölrechnungen zu bezahlen, seien viele dieser Haushalte zukünftig auf Unterstützung angewiesen.

Lösungsvorschläge des GdW

Zur Entlastung von Mietern schlägt der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft vor, die warmen Betriebskosten auf 40 Prozent der Nettokaltmiete zu deckeln. Um die Wohnungsunternehmen, die bei den Betriebskosten in Vorleistung treten, vor Insolvenzen zu schützen, sollte ein Hilfsfonds eingerichtet werden. Außerdem sollte angesichts der drohenden Insolvenz von Wohnungsunternehmen das Insolvenzrecht so angepasst werden, wie es bereits angesichts der Corona-Pandemie praktiziert worden sei.

Als alternative Lösung schlägt der GdW einen Treuhand-Hilfsfonds zur Unterstützung von Mietern vor. Die Mittel aus einem solchen Fonds könnten dazu genutzt werden, einen Teil der steigenden Energiekosten von den Betriebskostenabrechnungen abzuziehen. Die Entnahme aus dem Fonds sollte treuhänderisch durch Wohnungsunternehmen erfolgen. (Red.)

* Übrigens: Die Reduzierung des Warmwassers zu bestimmten Zeiten durch den Vermieter ist rechtlich heikel. Eine entsprechende Vereinbarung könnte theoretisch zwischen Vermieter und Mietern oder zwischen Genossenschaft und Bewohnern geschlossen werden. Die müsste wohl aber im Voraus und einvernehmlich geschehen. Andernfalls würde es sich um eine eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit der Wohnung handeln – der Vermieter riskiere so eine Minderung der Miete durch einen/ mehrere Mieter.

Geltendes Mietrecht: "Auch bei warmen Außentemperaturen muss der Vermieter von Wohnraum die Warmwasserversorgung sicherstellen." Landgericht Fulda, Beschluss v. 5.1.2018, Aktenzeichen 5 T 200/17

Thomas Engelbrecht

Thomas Engelbrecht
Chefredakteur
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