Umwidmung ist günstiger und schneller als der Neubau
Umwidmungen von Kaufhäusern oder Verwaltungsgebäuden in Wohnungen
Wenn wir pro Jahr 190.000 bis 240.000 neue Einheiten schaffen, ist das völlig okay“, meint Falco Herrmann. Der Bauingenieur und Umwelttechniker, der seit 2020 Partner beim Projektentwickler Sauerbruch Hutton in Hamburg ist, verweist auf das Bevölkerungswachstum, das bundesweit deutlich unter einem Prozent liege. „Wer soll denn da wohnen?“, fragt er provokativ. Es gehe darum, den vorhandenen Wohnraum intelligenter zu verteilen und zu nutzen, um Ressourcen zu schonen.
Für den schnellen Bedarf seien Umwidmungen etwa von Kaufhäusern oder Verwaltungsgebäuden in Wohnungen ohnehin geeigneter. Herrmann: „Das geht schneller, ist günstiger und machen unsere Nachbarländer auch.“ Dazu passt eine aktuelle Studie der Uni Kassel im Fachgebiet Städtebau, die im Kontext der Pandemie mit dem Titel „Raumpotentiale für eine gemeinwohlorientierte, klimagerechte und ko-produktive Stadtentwicklungspraxis in wachsenden Großstädten“ erhoben und von der Bosch-Stiftung finanziert wurde.
Urbane Zentren: weniger Parkhäuser, Banken und Handelsimmobilien
Am Beispiel Hamburgs zeigt die Studie auf, welche Transformation – Stichworte sind Homeoffice, Online-Handel oder Bankensterben – die urbanen Zentren aktuell durchlaufen und welche Flächenpotenziale in besten Lagen damit für das Wohnen nutzbar werden: Der Bedarf an Parkhäusern sinkt demnach bis 2030 um zehn Prozent, stationärer Handel um 14 Prozent, Bankfilialen minus 42 Prozent, Kinos minus 41 Prozent, Kirchen und Gemeindehäuser minus zwölf Prozent und Tankstellen minus 33 Prozent.
Achim Nagel stimmt Herrmann zu. „Die 400.000 Wohnungen würden dank seriellem Bauen auch nicht an den Facharbeitern scheitern“, sagt der Geschäftsführer der Primus Development GmbH, die Bestandsimmobilien ökologisch entwickelt. Das Problem seien gestrichene KfW-Fördermittel, gestiegene Zinsen und Baustoffpreise. Nagel: „Kein Bauträger engagiert sich mehr im privaten Wohnungsbau, weil es nur viel Risiko gibt und aktuell keinen Ertrag mehr.“ Die Rendite seien letztlich die KfW-Fördergelder gewesen. Nun fänden selbst Bauwillige keine Bank mehr, die mit ihrer Finanzierung ins Risiko geht.
„Mehr Förderung, höhere Abschreibung, weniger Regulatorik“
Der Immobilienprofi, der 20 Jahre für den Bertelsmann-Konzern in Stahl und Glas gebaut hatte und 2017 über die Entwicklung eines Studentenwohnheims zur Holzbauweise gekommen war, fordert „eine politische Neuaufstellung im Wohnungsbau“. Die Werkzeuge hießen staatliche Förderung, steuerliche Abschreibung und weniger Regulatorik, die die Kosten treibt. Auch müsse dichter gebaut werden, um Flächen zu sparen und Bodenpreise anteilig zu senken.
Für den Chef der Primus Development sprechen auch die Kosten für die Holzbauweise, „weil das jetzt schon günstiger ist“. Auch Sanieren statt Abreißen und neu Bauen sei in aller Regel günstiger. Herrmann pflichtet ihm bei: „Holz revolutioniert aktuell die Baubranche wie im vorigen Jahrhundert Stahl und Beton.“Das bestätigt Moritz Michaelis, der bei Derix in Hamburg den Bereich der Presssperrholzprodukte verantwortet.
Potenziale von Stroh, Hanf oder Lehm zum Bauen zu wenig genutzt
Von fünf Standorten in Deutschland und den Niederlanden aus liefert der Mittelständler Wand- und Deckenmodule im Volumen von aktuell mehr als 100.000 Kubikmetern pro Jahr, aus denen etwa das 60 Meter hohe Holzhochhaus Roots in der Hamburger HafenCity und viele andere Gebäude seriell gefertigt werden.
Michaelis: „Wenn wir früh in den Planungsprozess einbezogen werden, können wir effiziente Produkte liefern, die Montagezeit verkürzen und vieles mehr, was alles Geld spart.“ Durch permanente Optimierung des Engineerings und große Stückzahlen skalierten sich schon kleine Effekte, wenn auch nur wenige Späne an einem Holzmodul eingespart würden. Nach dem Cradle-to-cradle-Prinzip verpflichtet sich Derix zudem, seine Bauteile wieder zurückzunehmen und kooperiert dabei mit der Materialdatenbank Madaster, um Zweitverwerter zu finden.
„Beton-Lobby und Umweltschützer gehen seltsame Allianzen ein." Achim Nagel, Geschäftsführer der Primus Development GmbH
Entwickler Achim Nagel machte ein Dilemma in der politischen Debatte deutlich: „Da gehen plötzlich Beton-Lobby und Umweltschützer, die den Wald retten wollen, seltsame Allianzen ein, die den Holzbau schwächen.“ Den Architekten im Publikum rief der erfahrene Bauentwickler zu: „Sie sind alle viel zu nett. Gelegentlich muss man auch mal die Brechstange herausholen, wenn man eine Planung genehmigt bekommen will.“ Sichtbar machte die Diskussion auch, dass die baurechtlichen Standards nicht klimakonform sind, wie es ein Zuhörer formulierte. Und ein anderer ergänzte, auch die Potenziale von Stroh, Hanf oder Lehm zum Bauen und zum Dämmen würden erst ansatzweise genutzt.
Statt weniger Prestige-Objekte besser in die Breite gehen
Einig waren sich die Referenten, dass die Verbände den politischen Kampf führen müssten. Planer und Architekten sollten sich dagegen auf das Machbare im Rahmen des bislang Möglichen im Baurecht konzentrieren. Das heiße, statt bei einzelnen Prestigeobjekten den Bio-Composite-Anteil auf 80 Prozent und mehr zu pushen, besser in der Breite zügig auf Quoten von zehn, 20 oder 30 Prozent zu kommen. Die Hamburger Konferenz leiste dafür einen wichtigen Beitrag, weil Wissen geteilt werde und dadurch in viele Architekturbüros migriere.
Serie Nachhaltigkeit in der IVV (2021/ 2022)
Teil 1, aus 03/22: Nachhaltigkeit bei den Projekten der IBA’27
Teil 2, aus 04/22: Der Holzbau hat immer weniger Grenzen
Teil 3, aus 05/22: Lehm ist als organischer Baustoff weltweit vielerorts verfügbar
Teil 4, aus 06/22: Bauen mit Hanf, Bambus, Stroh, Schilfrohr, Weide, Rattan oder Rinde
Teil 5, aus 07-08/22: Leichtbau und hybrides Bauen: Fehlende Normierung erschwert den Entwicklungsfortschritt nmn
Teil 6, aus 09/22: R-Beton, recycelter Bauschutt, steht stellvertretend für geschlossene Kreisläufe im Hochbau, bei denen Materialien immer wieder zum Einsatz kommen, wenn nach 50 oder 100 Jahren deren Lebenszyklus in einem Gebäude endet. Dazu zählt auch der aufkommende Handel mit gebrauchten Materialien, Stichwort Madaster, auf Online-Plattformen.
Teil 7, aus 10/22: Dämmen mit Biomasse, Lederresten oder zu Popcorn erhitztem Mais sind ein weiteres Thema, das wir in dieser Serie darstellen können. Weil derzeit aber dermaßen viele neue Verfahren serienreif werden, sich gesetzliche Rahmenbedingungen ändern und wir eventuell Anregungen für diese Serie bekommen, wollen wir den weiteren Teil vorerst offenlassen.
Leonhard Fromm
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